„Der Mutmacher“ – ein modernes Märchen von Slam Poet und Autor Robert Muecke. Gelesen von Robert Muecke und Marie-Christin Becker Daten zum Künstler: https://www.facebook.com/mueckeslam
https://www.instagram.com/mueckeslam/

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Der Mutmacher – robert mückenheim (DOWNLOAD)

Dieser Titel stammt von Marie – einer Frau die nicht böse gucken, dafür aber umso
besser lächeln, sterben und mich motivieren kann.
Da ich diese als Kind sehr liebte, handelt es sich um ein modernes Märchen für
Klein und Groß.

„Der Mutmacher“

Es war einmal ein Land in dem lebten alle Menschen, egal ob groß oder klein, jung
oder alt, friedlich miteinander. In diesem Land gab es nur 4 Gefühle, die stets
ausgeglichen existierten und damit den Frieden aufrechterhielten.

Als Erstes existierte der Hass. Der Hass war ganz schwarz. So schwarz, dass man
schon durch eine dünne Schicht davon, nicht mehr durchsehen konnte. Er wurde
von Lucius gemacht. Dazu nahm er einen großen, alten und modrigen Ast und
mischte in einer Schlammgrube verfaultes Gemüse, Teer, Rosenkohl und
Schnecken zusammen. So eklig klebrig überzog der Hass alles, was nicht schon
vom zweiten Gefühl bedeckt war. Denn das zweite große Gefühl war die Liebe. Die
Liebe wurde von der jungen Fee Valentina hergestellt. Sie kochte sie in einem
großen roten Kessel und rührte die Zutaten mit ihrem Herz-Kochlöffel sanft um. Ihr
Geheimrezept bestand aus süßen Beeren, Kirschen, Vanille und einer SchokoladenRosen-Gummibärchen Limo.
Damit war die Liebe so zuckersüß und klebrig, dass
jeder sie haben wollte und sie nur schwer wieder zu entfernen war. Und so stritten
sich Lucius und Valentina ständig darum, wer mächtiger war und mehr von den
Menschen mit dem eigenen Gefühl überziehen konnte.

Doch neben diesen beiden „Großen Gefühlen“ gab es noch zwei kleinere Gefühle.
Das erste der Beiden, war das „Egal“. „Egal“ sorgte dafür, dass den Menschen die es
an sich hatten alles egal war, außer sie selbst natürlich. Dieses Gefühl war sehr
weit verbreitet und das lag ganz einfach daran, dass es völlig unwichtig war wer es
herstellte und auch wie. Es war eben einfach egal.

Aber manche, insbesondere die Kinder, hatten noch nicht so viel vom Egal und
Hass abbekommen und die hatten dann besonders viel vom majestätischsten aller
vier Gefühle: dem Mut. Der Mut war der König unter den Gefühlen und wurde in
einem goldenen Kelch gebraut und mit einem mächtigen Schwert heldenhaft
verrührt. Nur die besten Löwenherzen, Kriegertränen und eine Prise „eiserner Wille“
kamen hinein. Und an jenem goldenen Kelch stand schon seit vielen Jahren ein
kleiner, alter Mann namens Fred. Eigentlich hieß Fred ja Friedhelm Freiherr von
Froschen-Fraustein, aber das war den Meisten ein zu langer Name, also nannten
ihn alle nur Fred. So lebten die Menschen mit den vier Gefühlen und es
funktionierte eigentlich alles ganz gut. Natürlich gab es auch manchmal Streit
wegen Hass und Egal, aber durch genug Liebe und Mut konnte das immer schnell
geklärt werden.

Eines Tages gab es sehr viele Streitigkeiten. Eltern stritten sich, Kinder wollten
nicht mehr miteinander spielen und alle merkten, dass etwas nicht stimmte. Und
während ihre Eltern noch immer nur rumstanden und wütend aufeinander ein
redeten, versammelten sich vier der Kinder auf dem Marktplatz. Betty war die
Jüngste und ihre roten Haare wehten im Wind dieses seltsamen Tages. Otto war ihr
älterer Bruder und schleppte Sie zu allem mit worauf er Lust hatte, weil er ja „auf
Sie aufpassen“ müsse, wenn ihre Eltern mal wieder nicht da waren.

Deshalb war Sie auch bei fast allem dabei, was Otto mit seinen besten Freunden
Tom und Laura machte. Tom trug immer einen grünen Hut und Laura hatte die
schönsten Haare die Betty kannte. Sie waren ganz weich, glatt und genauso
haselnussbraun wie ihre Augen. Manchmal wünschte Sie sich, sie hätte auch
solche Haare. Außerdem waren Tom und Laura verliebt ineinander. Sie wollten das
zwar nicht zugeben, aber Bettys famoser Spürsinn hatte die beiden sehr schnell
überführt und mittlerweile wussten es eigentlich alle. Außer den beiden eben. Otto
und Betty warteten schon ungeduldig auf die Turteltäubchen am Brunnen und als
Sie sie um die Ecke laufen sahen, kamen die beiden Ihnen gleich schnellen Schritts
entgegen. Alle Vier wussten, dass etwas nicht stimmte und es offensichtlich
niemanden außer Ihnen interessierte.

„Was ist denn los? Alle sind so seltsam und böse aufeinander.“, sagte Tom.
„Ja und unsere Eltern streiten sich auch schon den ganzen Morgen!“, entgegnete
Betty sofort, „Wir müssen etwas tun!“. Alle nickten.
„Und was?“, fragte Laura nachdenklich. „Ja genau. Was denn?“, sagte Otto
schnippisch und schaute seine kleine Schwester an. „Wir wissen ja noch nicht
einmal was überhaupt passiert ist!“, setzte er nach.
Betty überlegte kurz. Auch wenn sie die jüngste der Vier war, war sie trotzdem die
Schlaueste. Das fand sie zumindest selbst. Und tatsächlich kam ihr auch schon
eine Idee: „Die Gefühle. Irgendetwas stimmt mit Ihnen nicht!“.
„Aber was sollen wir da denn machen?“, hakte Tom nach.
„Ich weiß es nicht…“, sagte Betty traurig, doch genau in jenem Moment als Sie es
sagte, tippte Ihr jemand von hinten auf die Schulter. Sie drehte sich um, aber da
war niemand. Sie schaute zu den Anderen, doch die waren alle zu weit weg, als
dass es einer von Ihnen hätte gewesen sein können. Noch ein Tippen. Diesmal auf
die andere Schulter. Und plötzlich hörte Sie eine Stimme. Es war eine Frau und
Betty dachte, es müsse ein Engel sein, so schön und sanft klang die Stimme in
ihren Ohren.
„Ihr habt gespürt, dass etwas falsch ist. Kommt zu mir in den Wald. Lauft an der
Herz-Eiche links und Ihr werdet mich finden. Ich warte auf euch. Kommt schnell!“
säuselte die unbekannte Frau und obwohl Betty sie noch immer nicht sehen
konnte, wusste sie, dass sie nun wieder weg war.
„H-h-habt Ihr das auch gehört?“, fragte Betty, „die Frau?!“
„Hörst du jetzt schon Stimmen?!“, witzelte Otto.
„Welche Frau?“, fragten auch Tom und Laura
„Sie hatte eine so schöne Stimme und sagte wir sollen sie im Wald finden. An der
Herz-Eiche. Vielleicht kann sie uns helfen?!“, antwortete Betty aufgeregt.
„Du spinnst doch!“, rief ihr Bruder genervt und verdrehte dabei die Augen. Ständig
tat er Ihre Ideen als absurd ab und nannte Sie „Kleines Mädchen“ oder „Baby“.
Dabei hatte Sie immer die besten Ideen, war schon groß und die Frau war doch
wirklich da gewesen!
Also lief Sie einfach los und in Richtung des Waldes. Wenn die anderen nichts
unternehmen wollten oder ihr nicht glaubten, okay, aber sie würde etwas tun! Und
sie würde die Frau mit der schönen Stimme finden!
Und weil Betty ja seine Schwester war und Otto sonst nur wieder Ärger bekommen
würde, ging er Ihr hinterher. Außerdem war Ihm ja eh langweilig. Und weil Otto ja
Toms bester Freund war ging er eben auch mit. Und Laura? Naja, wo Tom hingeht,
geht Laura natürlich mit. Also gingen Sie alle Vier los und schon bald erreichten sie
den Weg, der in den Wald hineinführte. Ein wenig unheimlich sah er ja schon aus,
aber keiner von Ihnen wollte seine Angst zeigen und so gingen Sie immer tiefer in
den Wald, Betty vornweg. Durch ihre leuchtend roten Haare war sie zwischen dem
erdigen Boden und den grünen Blättern und Zweigen noch aus 10 Metern
Entfernung einfach zu sehen. Dahinter Otto der trotzdem versuchte Sie nicht aus
den Augen zu verlieren und ständig rief sie solle doch nicht so weit wegrennen.
Ganz hinten Tom und Laura nebeneinander die sich erst ganz zaghaft und später
immer fester an den Händen hielten und es fast ein wenig romantisch fanden. Doch
für Romantik hatte Betty nichts übrig. Erstens war Küssen total eklig und Zweitens
hielt sie das nur auf. Sie musste doch die mysteriöse Frau finden! Und nach einer
gefühlten Ewigkeit erreichten die Freunde einen Baum, der tatsächlich ein wenig
wie ein Herz aussah. Unten noch ein einziger Stamm, spaltete sich dieser in zwei
auf, wuchs gebogen nach oben und dann wieder zusammen. Eben wie ein Herz.
„Das muss sie sein!“, sagte Betty als sie ihn erblickte. „Das muss die Herzeiche sein.
Wenn wir jetzt links gehen sind wir bestimmt gleich da!“, rief sie ganz aufgeregt.
„Na hoffentlich hat deine Fantasie-Freundin auch was zu essen.“, lachte Otto und
auch Tom und Laura verspürten etwas Hunger. Durch die Streitereien ihrer Eltern
hatten sie heute Morgen so schnell das Haus verlassen, dass sie nicht einmal
gefrühstückt hatten. Dementsprechend laut knurrten ihre Mägen, doch neben den
Geräuschen des Waldes ging das unter. Überall knarzte oder knackte Holz, die
Blätter und Sträucher raschelten und ganz sicher hatten sie vorhin einen Hirsch
gehört. Höchste Zeit endlich die Frau zu finden. Sofern Sie es sie denn wirklich gab.
Also gingen Sie nach links, immer Betty hinterher und immer weiter weg vom
eigentlichen Weg. Doch je weiter sie gingen, desto stärker wurde Ihnen etwas
bewusst. Es war nichts was man hätte sehen können und auch nichts zum Hören.
Sie rochen etwas. In der Ferne erschien ein Haus zwischen den Zweigen und je
näher Sie ihm kamen, desto mehr roch es. Es roch nach warmen Marshmallows,
nach Kuchen und Früchten, nach Keksen und nach Schokolade. Das Haus selbst
war ganz in roten Samt eingekleidet und in dem kleinen Garten davor wuchsen die
schönsten und buntesten Blumen die die Vier je gesehen hatten. Wenn Liebe ein
Haus wäre, es sähe genauso aus.
„Sollen wir da jetzt einfach so rein gehen?!“, fragte Laura als auch Sie und Tom
ankamen. „Was, wenn das eine Falle oder sowas ist? Wie bei Hänsel und Gretel oder
so?!“
Doch Betty war so fasziniert von dem Haus und dass sie wirklich Recht hatte, dass
sie vorsichtig gegen die Tür drückte, diese sofort langsam aufging und Sie festen
Schritts hineinging. Die anderen drei waren sich da jedoch noch nicht so sicher
und beobachteten wie die Jüngste in der Tür verschwand. Als Betty nach etwa fünf
Minuten noch immer nicht zurückgekehrt war, kamen bei den Anderen langsam
Sorgen auf.
„Ihr wird doch wohl nichts passiert sein?“, sagte Laura ein wenig ängstlich und
schaute dabei Tom an. Dieser antwortete: „Vielleicht sollten wir doch mal
nachschauen!“ und warf einen Blick zu Otto. So setzten sich die drei zögernd in
Bewegung und betraten ebenfalls das Haus.
Hinter der Tür befand sich ein langer Gang der ebenso wie außen, Wände aus
rotem Samt hatte und einen Fußboden mit einem Teppich so weich wie
Zuckerwatte. An den Wänden hingen feine Stickereien und Fotos einer
wunderschönen, jungen Frau. Der Geruch nach Süßigkeiten wurde immer stärker
und am Ende des Ganges sahen Sie zuerst Betty und dann die Frau, die sie schon
von den Fotos kannten. Beide standen um einen großen Topf herum und schienen
sich zu unterhalten. Langsam trauten Sie sich näher ran zu gehen und hörten was
die beiden sagten:
„Jemand hat den Mut entführt und hält ihn gefangen.“, sagte die Frau mit einer
Stimme gleich so süß wie der Duft, der ihrem Kessel entsprang. Sie stellte sich als
Valentina, Fee der Liebe vor und erklärte Ihnen, dass die Gefühle ohne den Mut im
Ungleichgewicht seien und sich deshalb alle Erwachsenen stritten. Der Hass und
das Egal regierten die Welt. Nur wenn jemand den Mut retten würde, könnte alles
wieder so werden wie es einmal war.
„Aber das ist ja furchtbar!“, seufzte Betty, „wer hat ihn denn entführt und warum
hast du mich hierhergeführt?“
„Ihr vier seid die Einzigen, die noch genug Kraft des Mutes in sich tragen, um Ihn zu
retten. Ich glaube, dass der Herrscher des Hasses ihn entführt hat, um die Welt in ein
Chaos zu stürzen. Ihr müsst ihn finden und den Mut befreien sonst ist das ganze
Land verloren!“, erklärte Valentina Ihnen.
„Geht nun! Schnell!“, sagte Sie und die vier verließen das so süßlich riechende Haus
wieder und betraten wieder den mittlerweile schon sehr dunkel gewordenen, kalten
Wald. Natürlich hatte Ihnen Valentina noch einige ihrer Lieblings-Süßigkeiten mit
auf den Weg gegeben.
„Wo müssen wir denn eigentlich lang?“, stellte Laura die bisher unausgesprochene
Frage aller.
„Da lang!“, sagte Betty und zeigte dabei Richtung Osten.
„Und woher weißt du das?“, fragte Otto schnippisch mit einem Stück Schokolade
im Mund, „kannst du jetzt etwa schon hellsehen?“
„Das nicht. Und ich weiß es auch nicht“, antwortete sie, „aber ich fühle es!“ und
zeigte dabei auf ihr Herz. „Ich kann fühlen wie der Hass versucht mein Herz zu
füllen. Es ist als riefe er nach mir. Wir müssen uns beeilen! Kommt jetzt!“, rief sie und
stapfte in den dunklen Wald davon.
Und so gingen sie einige Zeit durch den immer schwärzer werdenden Wald, in dem
die Vögel längst verstummt waren und nur die Laute einiger Eulen, Krähen und das
leise Knacken und rascheln des Unterholzes zu hören waren. Und obwohl der Mond
zwischen den Baumwipfeln hindurchschien, hatte Betty das Gefühl es würde immer
dunkler werden je weiter sie gingen. Nur dass die Dunkelheit nicht aus dem Wald
kam oder man sie hätte sehen können, nein, vielmehr schien sie von innen zu
kommen, als wollte sie Betty verzehren und diesem kleinen, aufgeweckten Mädchen
all ihren Mut und ihre Freude stehlen. Doch das durfte Betty natürlich niemals
zulassen. Schließlich musste sie ja die Welt retten. Und die anderen beschützen.
Und trotzdem, sie würde das natürlich nie zugeben und erst recht nicht vor Otto,
hatte sie ein wenig Angst. Was wenn sie es nicht schaffen? Was wenn Hass und
Gleichgültigkeit für immer die Welt beherrschten und es keinen Mut und keine
Liebe mehr geben würde? Es durfte nicht so kommen. Nein, sie würden es schaffen!
Sie würde es schaffen!
Von all diesen Gedanken bekamen Tom, Otto und Laura natürlich nichts mit.
Laura klammerte sich immer fester an Tom, welcher das zwar schön fand aber
eigentlich selbst genauso viel Angst hatte und versuchte Sie mit beschwichtigenden
Worten zu beruhigen. Und sich selbst.
Otto lief ein kleines Stück vor den beiden, zum einen, weil er noch immer versuchte
Betty zu folgen und sie nicht aus den Augen zu verlieren und zum anderen, weil
ihm Toms Gesülze gehörig auf die Nerven ging. Aber eigentlich hatte er auch gar
keine Lust mehr. Es war kalt, feucht und allein in den letzten 10 Minuten wäre er
schon dreimal fast über eine Wurzel gestolpert und hingefallen. Warum mussten
denn ausgerechnet sie das alles machen? Wie sollten ein paar gewöhnliche Kinder
die Welt retten?
Dann endlich sah Betty durch die Dunkelheit hindurch ein Gebäude etwa 50 Meter
vor Ihnen liegen. Das musste dann wohl das Schloss des Hasses sein. Und
tatsächlich konnte sie es mit jedem der letzten Schritte die sie darauf zu gingen
besser erkennen. Zwei große Türme ragten auf, zwischen ihnen ein schweres Tor
ganz aus schwarzem Metall. Davor ein Graben, doch statt Wasser und Krokodilen
befand sich eine eklig riechende, grünliche Brühe darin und Betty hätte schwören
können sie würde im Dunklen leuchten. Am großen Tor angekommen wartete Betty
auf ihre drei Freunde. Gebraucht hätte Sie sie nicht, da war sie sich sicher,
trotzdem war sie froh, dass sie da waren. Und als sie alle vier davorstanden, nahm
Betty allen Mut, den sie noch hatte, zusammen und klopfte dreimal fest gegen das
metallene Tor. So doll, dass ihre Hand danach noch einige Minuten weh tun sollte.
Doch tatsächlich schwang das Tor langsam unter Quietschen und Ächzen einige
Zentimeter nach innen auf. Langsam gingen Sie hinein. Aber drinnen war es sogar
noch kälter und dunkler als im Wald und sie beeilten sich durch den, nur von
einigen Wandkerzen erhellten, Flur zu durchschreiten, wobei das gar nicht so
einfach war, denn auch hier bestand der Boden aus nassem Schlamm, Ästen und
Wurzeln. Doch als sie es geschafft hatten und den großen Raum betraten, der dem
Flur folgte, bot sich Ihnen ein grässliches Bild. Zwischen zwei alten vermoderten
Bäumen stand Lucius, der Herr des Hasses und rührte in der Schlammgrube, die
zwischen den Bäumen lag, seinen verhängnisvollen Hass an. Darüber, in etwa zehn
Metern Höhe, hing Fred, Hüter des Mutes, gefesselt an einem Seil und bewegte sich
langsam immer weiter nach unten in Richtung der stinkenden und brodelnden
Hass-Brühe. Als Lucius die vier Kinder sah lachte er hämisch und sprach dann mit
einer tiefen Stimme zu Ihnen, die trotz dessen, dass er so weit entfernt stand, laut
in ihren Ohren hallte:
„Hahahahaha, da ist sie ja. Die letzte Hoffnung der Menschheit. Vier Kinder, die
glauben Sie könnten retten was längst verloren ist, den Mut! Hahahahaha!“
„Nein!“, schrie Betty laut, „er ist nicht verloren! Wir sind nur Kinder, aber wir haben
uns alle hierher getraut. Wir sind ganz allein durch die Dunkelheit gegangen. Wir
hatten alle große Angst und sind trotzdem hierhergekommen!“
Und plötzlich war der laute Lucius gar nicht mehr so laut und überlegte. Und Fred,
der gefesselt alles mit angehört hatte fühlte sich plötzlich wieder etwas stärker und
begann sich in seinen Fesseln zu winden.
„Nun gut“, sprach Lucius leiser als zuvor, „wenn ihr so mutig seid wie du
behauptest, dann beweist es! Zeigt mir, dass ihr keine Angst habt! Kommt zu mir und
schaut in den See. Hahahahaha.“
Also traten die 4 nach langsam näher an die stinkend-schwarze Brühe und
schauten vorsichtig hinein. Über der Grube lag ein dünnes, morsches Brett, das zu
Lucius führte, der lachend auf der anderen Seite stand.
„Wenn ihr in den See schaut, dann zeigt er euch eure größte Angst! Kommt einfach zu
mir herübergelaufen und habt keine Angst!“, sagte der Herr des Hasses hämisch.
Also machte sich Betty zuerst auf den Weg. Vorsichtig betrat Sie das dünne Brett
und trotz ihres geringen Gewichts bog es sich leicht und knarrte unter ihren
Füßen. Das schwarze Hass-Gemisch durchzogen plötzlich grelle Blitze und ein
lautes Donnern hallte durch den Raum. Betty zuckte zusammen und blieb kurz
stehen. Gewitter konnte sie einfach nicht leiden! Wie angewurzelt stand Sie in der
Mitte und schaute gebannt nach unten. Doch dann schloss sie die Augen, atmete
tief ein und ging einen Schritt nach vorn. Und dann noch einen und einen weiteren
und als sie die Augen dann wieder öffnete stand sie plötzlich schon auf der anderen
Seite.
Otto, der der festen Meinung war er hätte vor gar nichts Angst war der Nächste.
Auch er schaffte den Weg über das morsche Holz ganz einfach, bis auf einmal ein
dichter schwarzer Nebel aus dem See aufzog und sich aus diesem Nebel eine
Gestalt löste. Es war ein Abbild seiner Mutter und sie begann ihn anzuschreien. Sie
schrie, er sei so böse zu seiner Schwester, so schlecht in der Schule und überhaupt
habe Sie ihn eigentlich gar nicht lieb. Nicht so lieb wie Betty. Und da hatte Otto
plötzlich doch Angst und sogar eine kleine Träne kullerte an seinem Auge herab.
Schon seit Betty auf der Welt war, hatten Sie alle viel lieber als Ihn. Und dafür
hasste er Sie! Aber dann hörte er Betty von der anderen Seite rufen. „Komm Otto!
Du schaffst das!“, rief sie immer wieder. Und da wurde Ihm bewusst, dass er Sie
zwar manchmal hasste, aber Sie war immer noch seine kleine Schwester verdammt
nochmal und er würde Sie nicht allein lassen! Denn eigentlich wusste er ganz tief
drin, dass er sie liebte. Wie konnte er es nicht?! Also rief er laut: „Nein!“ und ging
mit einem großen Schritt durch die Silhouette seiner Mutter und die Nebelwand
und stand damit auch schon auf der anderen Seite. Jubelnd umarmte Betty ihn.
Blieben noch zwei. Laura und Tom ließen es sich natürlich nicht nehmen
gemeinsam den Weg zum anderen Ufer zu beschreiten. Eine Belastungsprobe
sowohl für ihre noch junge Beziehung, als auch für das Brett, dass sich unter der
Doppelbelastung immer mehr bog. Als sie das erste Drittel geschafft hatten,
berührte das Holz bereits das undurchdringliche Schwarz unter Ihnen. Und sie
wussten, einen Schritt weiter und das Holz würde brechen oder die klebrige Masse
sie verschlingen. Also gingen sie zurück und einigten sich, recht widerwillig, dass
Tom zuerst gehen soll und Laura nach ihm. So ging Tom los, langsam über das
Brett, das diesmal relativ stabil zu halten schien und bereit sich allen Gefahren zu
stellen, während ihm Laura sehnsuchtsvoll nachschaute. Er ging immer weiter und
weiter und es passierte: Nichts. Gemütlich spazierte er bis zum gegenüberliegenden
Ufer an welchem Otto und Betty schon auf Ihn warteten. Laura tat es Ihm zögernd
gleich und auch bei Ihr passierte wie durch ein Wunder gar nichts. Doch als die
beiden sich lächelnd umarmten, wurde Ihnen bewusst, dass auch Sie ihre größte
Angst überwunden hatten. Voneinander getrennt zu sein.
Sie allen hatten es geschafft! Und standen strahlend dem Hass gegenüber. Doch
ihm schien das Lachen ebenfalls noch immer nicht vergangen zu sein.
„Hahahaha, gut gemacht. Ihr habt es alle geschafft. Aber ihr hattet alle Angst und
habt gezögert. Ihr wart nicht mutig!“, rief Lucius lächelnd.
Alle vier schauten sich ungläubig an. Sollte das das Ende gewesen sein. Alles
umsonst? Doch genau in dem Moment als sie überlegten was sie nun tun sollten,
hörten Sie ein helles Lachen von oben. Sie schauten nach und über dem
brodelnden See schwang sich eine lachende Person an einem Seil auf sie zu. Es war
Fred, der sich hatte befreien können und nun vor Ihnen stand. Nun war Lucius das
Lachen vergangen.
„Neeeiiiin! Unmöglich! Wie hast du dich befreien können? Es gibt keinen Mut! Sie
haben versagt!“, rief der Hass laut.
„Nun, mein lieber Lucius“, sprach Fred ruhig, „was du nach all der Zeit in deiner
schwarzen Festung noch immer nicht gelernt hast: Mut bedeutet nicht, keine Angst zu
haben. Mut bedeutet seine Angst zu überwinden, um für etwas wichtigeres zu
kämpfen!“
Und während Lucius wütend vor sich hin murmelnd fort ging, wandte sich der Mut
an die vier tapferen Kinder:
„Ihr habt mich gerettet! Ihr habt alle eure Ängste überwunden und euch nicht davon
unterkriegen lassen. Damit habt ihr mir genug Kraft zurückgegeben, um mich zu
befreien. Ich danke euch. Und jetzt lasst uns schnell gehen und noch viel mehr Mut
brauen, damit auch alle anderen Menschen wieder genug davon haben und es
schaffen den Hass und die Ängste in Ihnen zu besiegen! Dann wird die Welt wieder
wie sie war.“
„Aber was ist mit dem Hass?“, fragte Betty, „sollten wir Ihn nicht stoppen, er bringt
nur Böses.“
„Da magst du Recht haben“, erwiderte Fred, „aber merke dir eines: Keins der Gefühle
ist unnötig und die Welt braucht uns alle vier. Das Böse kann nicht ohne das Gute
und das Gute nicht ohne das Böse existieren. Und für alles Schlechte, dass dir
widerfahren wird, wird auch immer etwas Gutes geschehen. Nur so kann die Welt im
Gleichgewicht bleiben“
Und so verließen Fred, Betty, ihr Bruder Otto und die beiden Turteltäubchen Tom
und Laura das dunkle Schloss und als Sie hinaus in den Wald traten, ging in der
Ferne gerade die Sonne golden am Horizont auf. Alle kehrten zurück zu Ihren
Familien, die schon sehr bald wieder ganz die Alten waren, sich stritten, neckten
und liebten.
Und damit bleibt nur noch eins zu sagen:
Und wenn Sie nicht gestorben sind, dann leben Sie noch heute…
P.S.: Oh Nein! Jetzt kamen ja nur 3 der Gefühle vor. Aber vielleicht ist das Vierte
auch einfach… Egal!